Es ist laut und staubig auf der Fernkälte-Baustelle am Graben. 6 Meter tief hat der Baggerfahrer die Künette direkt vorm Delikatessengeschäft bereits ausgehoben, als die Steine eines römischen Stadttors sichtbar werden. Ausgrabungsleiterin Kristina Adler-Wölfl von der Stadtarchäologie hebt die Hand und ruft „Vorsicht!“ – Das Signal für den Baggerfahrer kurz Pause zu machen.
Die ArchäologInnen sind jetzt an der Reihe und machen weiter. Mit aller Vorsicht legt man 18 große Steine und mehrere kleine Fragmente frei und sichert diese. „Wir haben vermutet, dass es hier was zu finden gibt. Aber wissen kann man es nie“, sagt Adler-Wölfl. Vermutet deshalb, weil bereits vor zwei Jahren bei einer Grabungsarbeit ganz in der Nähe plötzlich Steine aus der Römerzeit freigelegt wurden.
Aber es ist wirklich selten, dass man so viele, so gut erhaltene Teile von einem römischen Bauwerk an einer Stelle findet. Das kommt nur alle 100 Jahre vor.
Ein Stück Vindobona kommt ans Licht
Vor 1.900 Jahren waren die eben ausgegrabenen Steine Teile des südlichen Tores des römischen Legionslagers Vindobona in der Wiener Innenstadt. Im Mittelalter wurden die Steine dann für die Aufschüttung der davorliegenden Gräben verwendet – die Gräben dienten der Verteidigung des Legionslagers. Außerdem geben sie dem heutigen „Graben“ seinen Namen.
Die Steine kommen nun in das Depot des Wien Museums und werden gereinigt und dokumentiert. Fast bei jeder Baumaßnahme im ersten Bezirk sind archäologische Funde möglich. „Für uns ist das wie ein Puzzle an Informationen, das man zusammensetzen muss. Und so werden unsere Annahmen und Thesen zu historischen Fakten“, erklärt Grabungsleiter Martin Mosser. Die aktuellen wissenschaftlichen Ergebnisse fließen in die für 2023 neu geplante Dauerausstellung des Wien Museums zur Geschichte Wiens ein.
Der 1. Bezirk – ein archäologisch heißes Pflaster
Das man immer wieder etwas findet, ist auch der Grund dafür, dass sich die Arbeiten auf der Baustelle durch den Fund nicht verzögern. „Wir sind ein eingespieltes Team und arbeiten mit der Stadtarchäologie Wien und dem Bundesdenkmalamt eng zusammen“, erklärt Christian Aigner, der für die Wiener Netze im Auftrag von Wien Energie den Fernkälteleitungsbau im ersten Bezirk betreut.
Wenn man in einem historisch bedeutenden Bereich wie der Wiener Innenstadt baut, dann muss man immer mit Überraschungen unter der Erde rechnen. Das planen wir von Anfang an ein.
Am Graben wird aktuell das Fernkältenetz der Zentrale Renngasse erweitert, um weitere Gebäude anschließen zu können. Fernkälte wird in der Innenstadt massiv ausgebaut, da durch den Klimawandel eine umweltschonende Kühlung immer gefragter wird. Fernkälte wird in großen Zentralen erzeugt und in Form von kaltem Wasser über ein Leitungsnetz zu den einzelnen Gebäuden transportiert. Diese Technologie spart im Vergleich zu herkömmlicher Klimatisierung 50 Prozent CO2 und 70 Prozent Energieeinsatz.