1986, da war Simmering noch das, was man in Wien eine Gstettn nennt. Keine U-Bahn, keine Infrastruktur, Industrie, dazwischen Brachland und dann noch die vier riesigen Backstein-Zylinder, die als Gasspeicher ausgedient hatten. Ein Ort für Gruselvideos und Mördergeschichten. Simmering: Ein Ort für Jeanny.
Wolfgang Daniel erinnert sich noch gut an diese Zeit. Er hat damals gerade angefangen als Apparatewärter bei den Wiener Stadtwerken zu arbeiten. 1984, so erinnert er sich, wurden die Gasometer stillgelegt und gleich einmal unter Denkmalschutz gestellt.
In der Folge wurde begonnen, die Innenräume dieser gigantischen Zylinder auszuräumen: Riesige Stahltanks hatten sich in den Speichern befunden: Zwei Hüllen, dazwischen eine Flüssigkeit zum abdichten. Heute ist Wolfgang Daniel Leiter der Abteilung für Gas-Dispatching bei den Wiener Netzen, also für die Steuerung der Gasmengen in Wien zuständig.
“Geruch von Gefahr”
Damals war Daniel aber ein Neuling und Falco-Fan. Jeanny Part 1 hatte gerade (1985) in Deutschland, Österreich, den Niederlanden, der Schweiz Platz eins in den Verkaufscharts erreicht – und durchaus auch Kontroversen ausgelöst. Kann man den Text doch als die romantisierte Obsession eines Frauenmörders deuten. Part 2 war im Entstehen.
Schon damals galt: Kein Hit ohne Video. Und für die Illustration einer in menschliche Abgründe gehenden Geschichte schien Simmering bestens geeignet. Oder besser: Die Gasometer. Der Gasometer, der habe damals die Stimmung, des Liedes verbreitet, sagt Wolfgang Daniel: „Abgelegenheit, ein Geruch von Gefahr.“
Da ist die Szene mit der streng schauenden Uniformierten mit der Schrotflinte auf der Galerie vor der Gasuhr, die den Füllstand der Tanks angezeigt hatte. Da ist der alleine tanzende Falco in weißem Anzug, weißem Mantel und weißem Hut in der Mitte des leeren Gastanks – der wohl erste Tänzer im Gasometer von vielen.
Ein paar Jahre später schon sollten diese Tanks mit tanzwütigen Technokindern übergehen. Aber das ist eine andere Episode in der langen Geschichte der Gasometer. Und auch an die erinnert sich Wolfgang Daniel.
Neunutzung Gasometer
Denn recht lange hatte es keinen wirklichen Plan gegeben, was mit den Gasometern passieren sollte. Und so stand sie lange Zeit im Raum, die Frage, so groß wie diese Speicher selbst: Was tun mit diesen denkmalgeschützten Kolossen?
Eine Ausstellung zu einhundert Jahren SPÖ gab es. Auch eine Nutzung durch das Technische Museum Wien wurde angedacht – während die Speicher in der Zwischenzeit also als Ort für Dreharbeiten und später als Veranstaltungshallen genutzt wurden. Die Idee, Wohnungen in die Zylinder hinein zu bauen, war erst viel später entstanden.
Senkrechtstart durchs Dach
„Bei den Drehs für das Jeanny-Video war ich immer dabei, damit alles geregelt abläuft“, erzählt Wolfgang Daniel. Seine Aufgabe war es, alles zu koordinieren und für die Filmcrew aufzusperren und alles wieder zu verriegeln, wenn die Dreharbeiten fertig waren.
„Schön“ seien diese Drehs gewesen, sagt er als ausgewiesener Falco-Fan. Aber das, so sagt er auch, sei wohl „generationsbedingt“. Und: „Jeanny ist natürlich mein Lieblingsvideo.“ Weil er das mit der damaligen Zeit verbinde und mit dem Beruf.
Filmreife Location
Dabei war Jeanny in Sachen Filmdrehs im Gasometer keine Eintagsfliege. Auch ein James Bond wurde 1987 in den Gasometern gedreht – oder zumindest zum Teil.
Und auch der Titel dieses Films spiegelt das damalige Flair der Gegend wieder: „Der Hauch des Todes“. Der Spion Georgi Koskov reist da von Bratislava durch die Gas-Pipeline nach Wien, steigt dann in einem der stillgelegten Gasspeicher in einen Harrier-Senkrechtstarter und düst über das sich öffnende Dach des Gasometer davon.
Da hat Wolfgang Daniel aber schon aus rein fachlicher Sicht seine Einwände: „Einen Transportbehälter, der durch das Pipeline-Netz rast, würde es bei jedem Verdichter auf der Strecke sofort zerfetzen“, sagt er. „Und jede Abzweigung und jeder Bogen wäre auch ein Problem.“ Anders als Koskov im Senkrechtstarter muss Wolfgang Daniel als Techniker da am Boden der Realität bleiben.
Der Bau der Gasometer in Simmering erfolgte ab 1896, die Inbetriebnahme im Jahr 1899. Die Gasometer dienten zur Speicherung von Gas. Die architektonisch auffallenden Gasbehälter waren 75 m hoch und hatten einen Fassungsraum für 90.000 m³ Gas. Das entspricht aus heutiger Sicht in etwa dem jährlichen Bedarf von 50 Haushalten.
Durch die Umstellung auf Erdgasversorgung, wo die Speicherung unterirdisch erfolgt, wurden die Gasometer stillgelegt. Sie dienen heute als Wohn- und Büroraum, Veranstaltungshalle und Shoppingmal.
Weitere Infos zum Gasometer finden Sie hier.