Schale - Archäologischer Fund
Eine 10 Zentimeter hohe und 23,5 Zentimeter große Schale wurde in Achau gefunden, am Grundstück, auf dem das Umspannwerk errichtet wird.
Zwischen Stromleitungen und Römerfunden: Wiens Baustellen erzählen Geschichte.

Reste römischer Mauern, uralte Gräber oder Keramik aus der Bronzezeit: Wenn in Wien gebaut wird, dann kommt häufig die Geschichte zum Vorschein.

Diese Geschichte beginnt an einem Frühlingstag in der Postgasse im ersten Wiener Gemeindebezirk: Christian Aigner von den Wiener Netzen kümmert sich gerade um die Grabungsarbeiten einer Fernkälteleitung, als die Bagger plötzlich nicht nur Schutt und Erde nach oben befördern, sondern auch noch etwas anderes: die Knochen eines Skeletts. Es ist sehr gut erhalten, nicht sehr groß, vermutlich von einem Kind. Aigner versteht sofort, dass es sich dabei wohl um einen spektakulären Fund handelt und verständigt die Expert*innen der Stadtarchäologie – sie kümmern sich um die Dokumentation und den Schutz archäologischer Funde im Wiener Stadtgebiet. Mit großer Sorgfalt bergen sie die Entdeckung – und finden später heraus, dass der Fund von Aigner und seinem Team wirklich eine Sensation war: Das Skelett stammt aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus. Ausgrabungen und Funde wie dieser sind zwar selten, aber kein Einzelfall.

Portraitfoto Christian Aigner
Christian Aigner betreut bei den Wiener Netzen den Ausbau von Fernkälte-Leitungen. Dabei hat es schon den einen oder anderen Baustopp gegeben. © Wiener Netze/Manfred Tucherl

Wer für die Zukunft baut, gräbt in der Vergangenheit

Immer wieder, wenn in der Stadt gebaut wird, stoßen die Bagger auf Relikte vergangener Zeiten. Und um darauf vorbereitet zu sein, wenn im Aushub plötzlich die Vergangenheit liegt, arbeiten die Wiener Netze eng mit den Expert*innen der Stadtarchäologie zusammen. Und zwar schon lange bevor ein Projekt überhaupt beginnt. „Wir melden alle geplante Bauvorhaben an“, erklärt Karoline Pinner: „Weil vieles einfach auch von der Lage der Baustelle abhängt. Sprich: Bauen wir in historisch relevantem Gebiet? Oder nicht.“ Ist das der Fall, ist die Stadtarchäologie von Anfang an dabei. Und wenn nicht, sind sie aber sofort zur Stelle, falls etwas gefunden wird.

Karoline Pinner in ihrem Büro
"Bevor wir mit dem Bau eines Umspannwerks beginnen können, muss zuerst ein Boden-Gutachten erstellt werden“, erklärt Karoline Pinner. © Wiener Netze/Manfred Tucherl

Pinner arbeitet wie Aigner bei den Wiener Netzen, aber nicht im Bereich Fernkälte-Ausbau, sondern in der Strom-Abteilung. Sie plant und betreut Bauprojekte – zum Beispiel die Errichtung von Umspannwerken. Wie Aigner kümmert sie sich auch darum, dass Archäolog*innen oder andere Fachexpert*innen rechtzeitig eingebunden werden. „Wenn wir zum Beispiel den Bau eines Umspannwerkes planen, führen wir außerdem zuerst auf dem Grundstück eine sogenannte ,Kampfmittelsondierung’ durch und erstellen ein Bodengutachten“, erklärt Karoline Pinner.

Baustelle Rohbau Umspannwerk Achau
Bevor ein Umspannwerk gebaut wird, wird der Boden sondiert und das Grundstück untersucht. © Wiener Netze

Vorsicht! Hier ist Geschichte vergraben

Wie das genau passiert? An Standorten, an denen Funde besonders wahrscheinlich sind, werden auch Luftbilder und Archivunterlagen herangezogen, wie beispielsweise beim Gelände des Umspannwerks Achau bei Wien. So kann im Vorfeld geklärt werden, was zu erwarten ist. Gibt es Hinweise auf mögliche Funde, wird auf etwa 20 Prozent der Grundstücksfläche gegraben. Werden dabei bereits Kleinigkeiten entdeckt, begleiten die Profis von der Stadtarchäologie das gesamte Baugeschehen.

Baugrube mit Skelett
In der Wiener Innenstadt sind archäologische Funde bei Bauarbeiten nicht selten. © Wiener Netze

„In Achau haben historische Aufzeichnungen darauf hingewiesen, dass dort in den Jahren 1943-1945 des Zweiten Weltkrieges Kampfhandlungen stattgefunden haben. Also, dass die Wahrscheinlichkeit für Funde relativ hoch ist“, erklärt Pinner. Das Projekt wurde, zumindest kurzzeitig, von Archäolog*innen begleitet. Und was, wenn tatsächlich etwas gefunden wird, so wie damals in der Postgasse? Oder kurze Zeit später am Graben: Hier wurden die Fundamentsteine des Torbogens der „Porta Decumana“ dem Haupttor des Vindobona-Lagers enteckt. „Dann können die Archäolog*innen die Bauarbeiten unterbrechen“, sagt Christian Aigner: „Wir versuchen dann, an anderer Stelle weiterzuarbeiten oder andere Dinge vorzuziehen. Es gibt ja auf so einer Baustelle genug zu tun.“

Teile einer Schale
Bevor mit dem Bau des Umspannwerks in Achau begonnen werden konnte, wurden zuerst archäologische Funde aus der Hallstattzeit geborgen. © Martina Simon

Für die Archäolog*innen beginnt kurz nach einer Entdeckung jedenfalls die wissenschaftliche Arbeit: Die Fundstelle wird untersucht, Objekte werden freigelegt, gereinigt, vermessen, dokumentiert – und wenn nötig geborgen. Bei Kampfmitteln ist eine zusätzliche Expertise von Spezialist*innen gefragt. So spektakulär wie das Kinderskelett oder der Torbogen seien die Funde nicht immer, sagen Aigner und Pinner. Manchmal seien es auch ,nur’ ein paar Teile alter Keramikgefäße. Aber egal, ob spektakulär oder nicht: Jeder Fund ist ein Stück Geschichte, der der Stadt erhalten bleibt.

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