Wo steht die Energiewende? Sind wir am Anfang, mitten drinnen und ist vor allem schon klar, in welche Richtung es gehen wird?
Thomas Kreitmayer: Ich würde sagen, was die Umsetzung betrifft, stehen wir noch am Anfang, aber wir haben sehr konkrete Pläne. Die Richtungen sind klar und Wien hat einen großen Startvorteil, da Klimaschutz seit Jahrzehnten Tradition hat. Vor allem was die Forcierung der Fernwärme angeht. Der Wärmeplan 2040 zeigt, wo die Fernwärme hinkommen soll und wo mit erneuerbaren Standortressourcen die Möglichkeit besteht, die Wärmeversorgung zu dekarbonisieren. Mittels Umrüstung der Fernwärme-Aufbringung können rasch hunderttausende Haushalte mit erneuerbaren Energien versorgt werden.
Wenn ich es nach der Anzahl der dekarbonisierbaren Haushalte beurteile, da reden wir immer von einer Größenordnung von über einer halben Million – von dieser Anzahl haben wir auch vor einem Jahr schon gesprochen. Also: Wir stehen am Anfang einer sehr langen Reise, aber wir wissen sehr konkret, in welche Richtungen wir gehen wollen.
Wärmeversorgung für die Altbau-Stadt
Was sind diese konkreten Richtungen? Es gibt viele Pläne, politische Ziele, letztlich aber hängt es an Technologien. Wien ist eine Altbau-Stadt. Energiepolitisch betrachtet, ist das eine Herausforderung. Was raten sie zum Beispiel Altbau-Bewohner*innen mit einer Gastherme ohne Fernwärmeanschluss?
Nach langer und intensiver Zusammenarbeit mit Wien Energie und den Wiener Netzen können wir sagen, dass im Wesentlichen in allen Gebäuden innerhalb des Gürtels, wo wir eine besonders hohe Dichte an Altbauten haben, eine Fernwärme-Versorgung ermöglicht werden wird. Um die Gebäude mit Fernwärme versorgen zu können, muss vorab eine zentrale Wärmeverteilung hergestellt werden. Das gilt übrigens auch dann, wenn die Heizung auf erneuerbare Standortressourcen umgerüstet werden soll.
Grundsätzlich empfiehlt sich, den Energie-Verbrauch mit geeigneten Maßnahmen zu reduzieren. Also sicher zu stellen, dass zum Beispiel die Fenster dicht sind, möglicherweise können auch Geschoß-Decken und, wenn eine Dämmung der Straßenfassade nicht möglich ist, zumindest die Hoffassade gedämmt werden. Eine Verbrauchsreduktion ermöglicht, die Heizleistung niedriger zu dimensionieren, was in jedem Fall zu geringeren laufenden Kosten führt. Damit können auch die begrenzten Ressourcen der Fernwärme geschont werden.
Alternativen zur Fernwärme
Mit einer Umrüstung auf Fernwärme haben wir viele Erfahrungen. Das geht vergleichsweise einfach. Aber auch außerhalb des Gürtel bzw. dort wo aus heutiger Sicht keine Fernwärme hinkommen wird, gibt es Lösungen. Man kann mit erneuerbaren Standortressourcen das Auslangen finden. Im zweiten Bezirk in der Eberlgasse, haben wir zum Beispiel ein Gründerzeitgebäude, das auf Passivhaus-Niveau saniert und dann mit erneuerbaren Standortressourcen in Form einer Grundwasserwärmepumpe versorgt wird. Das wird nicht für jedes einzelne der zehntausenden Gründerzeitgebäude in Wien funktionieren. Es wird auch Lösungen basierend auf Nahwärmenetzen brauchen. Aber zusammengefasst: Es geht um Effizienzsteigerung und Verbrauchsreduktion. Da gibt es viele Einzelmaßnahmen, die auch gefördert werden. In einem ersten Schritt eine zentrale Wärmeverteilung herzustellen, ist jedenfalls ratsam, um zu gegebener Zeit auf künftig verfügbare Fernwärme umzurüsten oder um im Zusammenhang mit einer entsprechenden Sanierung gleich auf erneuerbare Quellen umzusteigen.
Ich höre da heraus, dass es keine Blaupause gibt. Wird das also so ein Mix aus Fernwärme, lokalen Energiepartnerschaften, also Haus- oder Siedlungs-Verbünden sein? Und vor allem: Wird da denn die Gesetzgebung dem Handlungsbedarf gerecht?
Es gibt viel legislative Arbeit zu tun. Und nein, die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind noch nicht so, dass wir diese Ziele mit großen Schritten erreichen können. Aktuell haben wir zum Beispiel das Gaswirtschaftsgesetz, das es zulässt, dass jeder Haushalt der einen Gasanschluss hat, diesen behalten darf und jeder der eine Gasanschluss möchte, ihn bekommen muss, Neubau ausgeschlossen. Das ist ein Bundesgesetz. Das ist paradox. Dann die ganzen wohnrechtlichen Themen: Mietrechtsgesetz, das Wohnungseigentumsgesetz. Die lassen es zu, das gemeinschaftliche Lösungen von Einzelnen verunmöglicht werden. Da braucht es Änderungen, an denen aber auch schon gearbeitet wird. Und es wird mit Förderungen und Abgeltungen einhergehen. Wurde beispielsweise jüngst in eine Erneuerung der fossilen Heizung investiert, so wird ein erneuter Tausch auf ein gasfreies System entsprechend abgegolten werden müssen.
Stichwort Förderungen
Förderungen sind in Anbetracht der Budgetlage doch ein heikles Thema. Sicher ist jedenfalls, der Kuchen wird nicht größer werden, nicht wahr?
Es wird sehr gerne damit argumentiert, dass eine künftige Energieversorgung so viel günstiger sei, dass auf lange Sicht hohe Anfangsinvestitionen wieder kompensiert werden. Das würde ich mich nicht zu prognostizieren trauen, da mit Gas zu heizen, bis 2022 sehr sehr günstig war. Im Frühjahr 2022 hat sich dann gezeigt, dass internationale Konflikte und damit einhergehende Verwerfungen auf den Energiemärkten zu einem plötzlichen Anstieg des Gaspreises auf das 3- bis 5-fache führen können. Sich aus dieser Abhängigkeit zu lösen ist erstrebenswert. Das erfordert einen Heizungstausch und vielleicht Maßnahmen am Gebäude. Hier war eine ursprüngliche Arbeitsthese, dass die entstehenden Kosten zu einem Drittel vom Bund gefördert werden, zu einem Drittel vom Land und dass „nur“ ein Drittel beim betreffenden Haushalt verbleibt. Dieses letzte Drittel entspricht aber den Kosten, die auch für eine langfristige Instandhaltung oder Erneuerung der fossilen Heizung erforderlich werden; nur dass dabei die Unsicherheit der Entwicklung des Gaspreises bleibt.
Das vom Bund schließlich veröffentlichte EWG fiel deutlich kürzer aus, als erwartet. Aktuell ist der Bund sehr großzügig mit Förderungen für den Heizungstausch und für Sanierungen. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass das langfristig so beibehalten wird, denn ja, der Kuchen wird nicht größer. Der Bund wird hier entweder zusätzliche Einnahmen anstreben – was sehr unattraktiv ist – oder aber vielleicht seine Prioritäten anpassen müssen, wohin die begrenzten Fördermittel gelenkt werden sollen; also welche Ziele ihm am wichtigsten sind.
Es ist immer wieder auch die Rede von neuen Brennstoffen. Also davon, dass die Gastherme möglicherweise eh nicht ausgedient hat, weil zugemischt werden wird können. Ist die Gas-Infrastruktur also ein Netz, das bestehen wird, oder ist das Infrastruktur, die irgendwann einmal obsolet sein wird?
Das Gasnetz für die Gebäudewärmeversorgung wird mittel- bis langfristig obsolet sein. Gas in welcher Form auch immer – ob Biogas, erneuerbares Gas – wird mit 1.000 Grad verbrannt, um 20 Grad Raumtemperatur zu bekommen. In diesem Bereich gibt es heute schon viel sinnvollere Möglichkeiten, um diese Raumtemperatur sicher zu stellen. Wir wissen aber freilich, dass es gewerbliche und industrielle Prozesse gibt, bei denen diese 1.000 Grad gebraucht werden. Aus heutiger Sicht wissen wir auch, dass grüne Gase nicht unendlich verfügbar sein werden. Diese begrenzten Mengen muss man also für die Bereiche vorhalten, wo es noch keine anderen Möglichkeiten zur Wärmebereitstellung gibt. Man wird somit sicher nicht das ganze Netz stilllegen. Abschnitte, über die nur Wohngebäude versorgt werden, wird man wohl mittel- bis langfristig nicht mehr betreiben. Andere Bundesländer gehen da aber anders vor.
Emissionsfreie Fernwärme
Nun ist die Fernwärme ja auch nicht ganz Gas-los.
Ja, das stimmt. Aber wir kennen die Dekarbonisierungspläne von Wien Energie und den Stadtwerken. Und da sehen wir: Schon, mit der ersten Ausbaustufe der Wärmepumpe in der Kläranlage Simmering können annähernd 60.000 Haushalte mit Abwärme versorgt werden. Mit der zweiten Ausbaustufe kommen wir auf 120.000 Haushalte. Mit der Tiefengeothermie, deren Verfügbarkeit man in Wien nachweisen kann, wollen wir über 200.000 Haushalte versorgen. Die Müllverbrennung wird weiter ihren Platz haben. Und ein gewisser Restbedarf in der Energiewirtschaft wird wohl auch mit grünen Gasen bereitgestellt werden. So wird man mittel- bis langfristig auch die Fernwärme Emissionsfrei gestalten können.
Das klingt nach vielen Herausforderungen. Aber solche Umstrukturierungen bergen ja immer auch Chancen, oder?
Erstens: Wir wissen, was geht. Wir werden sehr viele Fachkräfte brauchen. Wir bilden selber sehr viele Fachkräfte aus. Es wird der Ausbau der Fernwärme sehr viel Personal benötigen und es wir auch die Wartung dieser Anlagen sehr viel Personal benötigen. Ein großer Mehrwert, den ich hier sehe, ist die Maximierung unserer erneuerbaren Standortressourcen. Das bedeutet zugleich eine Reduktion der Abhängigkeit von außen. Das schafft Sicherheit. Ich wage nicht zu behaupten, dass alles billiger wird. Aber es kann einen großen Mehrwert durch Versorgungssicherheit bieten. Und wir schaffen, neben einer Stärkung des Wirtschaftsstandortes auch Arbeitsplätze mit Zukunft.